Lernen und Medien

Lehrkräfte ausquetschen und abwerben: Ein Eltern-Blick auf die Schulkrise

Gestern kamen meine beiden Ältesten heim und erzählten etwas von kommendem Distanzunterricht. Ich wurde blass und mein Mann warf mir einen panischen Blick zu. Distanzunterricht – das ist, genauso wie Homeschooling ein Wort aus der „Eltern-am-Limit“-Zeit. Das Kopfkarussell begann. Was konnte hinter der Ankündigung von Distanzunterricht stecken? Corona wohl eher nicht. Hatten sich die Kinder evtl. verhört? Oder hatte Bayern jetzt beschlossen, dem Lehrermangel mittels Hybridunterricht entgegenzutreten?

Die Sache klärte sich schnell auf – eine Schlechtwetter-Front naht. Und die Schule stellt sich auf den „Worstcase“ ein, also ihre Schüler einen oder zwei Tage lang digital unterrichten zu müssen. Trotzdem: Das Unbehagen bleibt. Auch nach der Aufklärung dieses Sachverhalts. Ich muss gestehen, ich habe auch überhaupt kein Vertrauen mehr in die deutsche Bildungspolitik. Stichwort „Lehrermangel“: Um mal die Zahlen der Kultusministerkonferenz wiederzugeben: Zwischen 2021 und 2025 fehlen ca. 25000 Lehrerinnen und Lehrer. Bildungsforscher und Wirtschaftsinstitute gehen davon aus, dass diese Zahl viel zu niedrig ist.

In den Schulen meiner Kinder findet häufig Vertretungsunterricht statt. Gelegentlich fällt auch mal eine Stunde ersatzlos aus. Die Klassenzimmer sind standardmäßig gerammelt voll – optimale Voraussetzungen, um in der letzten Reihe entspannt Kaugummi zu kauen oder zu schlafen, könnte ich mir vorstellen. Die Lehrkraft vorn muss sich auf Frontalunterricht beschränken und hat halt auch nur 2 Augen, die sie nicht gleichzeitig auf 31 Kinder heften kann.

Mehr Achtsamkeitstraining für Lehrkräfte

Wie also kriegt man jetzt diese riesige Schulkrise in den Griff? Immerhin ist man sich ihrer bewusst. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz stellte kürzlich fest, dass es Deutschlands Grundschulen derzeit nicht gelinge, den Anspruch auf allgemeine Bildung für alle Kinder gleichermaßen zu gewährleisten. Mit anderen Worten: Der Staat kriegt seinen Bildungsauftrag nicht auf die Reihe. Die Experten sind allerdings reichlich weltfremd unterwegs, wenn es um das Präsentieren von Maßnahmen gegen diese Krise gibt. Sie veröffentlichten Ende Januar Empfehlungen. Lehrerinnen und Lehrer sollen sich stärker engagieren. Zusätzliche Unterrichtsstunden, weniger Teilzeit, größere Klassen, mehr Achtsamkeitstraining schlagen die Experten zum Beispiel vor.

Als ich das letzte Woche gelesen habe, dachte ich erst, es handle sich um einen vorgezogenen Aprilscherz. Auch die Lehrkräfte sind verständlicherweise not amused. So warf der Lehrer und Influencer Bob Blume (netzlehrer) auf Instagram einen fiktiven Blick ins Jahr 2035.

Ich kann den Mann verstehen. Ebenso wie alle seine Kolleg:innen, die mit derartigen Empfehlungen so gar nichts anfangen können. Mit unausgegorenen Ideen zur Schulkrise brillieren nicht nur die Berater der Kultusministerkonferenz. Ministerpräsident Söder gab kürzlich bekannt, dem Lehrkräftemangel in Bayern entgegenwirken zu wollen, indem er Lehrerinnen und Lehrer einfach im übrigen Bundesgebiet abwirbt. Genau! Tolle Idee, Herr Söder! Was kümmern uns Bayern die Schülerinnen und Schüler in Frankfurt? Kann uns doch egal sein, wenn dort künftig der Hausmeister die Klasse bei Laune halten muss, weil die Mathelehrerin mit Weißwurst und Bier for free nach München gelockt wurde.

Her mit den guten Ideen!

Bestimmt gibt es noch weitere planlose Ideen. Ich als Mutter dreier Schulkinder bin jedenfalls entsetzt davon, wie hilflos und ideenlos sich Politik und deutsches Bildungswesen aktuell präsentieren. Die vorgestellten Ideen und Ansätze sind allesamt ein Witz. Die Schulkrise ist kein kleines Aua, auf das man ein Pflaster klebt, Heile heile Segen singt und dann ist in einem Jahr alles wieder gut. Die Schulkrise ist ein verdammter, offener Bruch, der wahrscheinlich Jahrzehnte braucht, bis er sauber verheilt ist. Können bitte einige Verantwortliche damit beginnen, das Ernst zu nehmen und Maßnahmen vorschlagen, die der Lage auch gerecht werden?

Mutter von Vieren und brennt als solche für Familienthemen, schreibt gern, liest gern, arbeitet als Online-Redakteurin, ist Multitasking-geübt, mag Sci-Fi, hasst Rosenkohl, aufgewachsen in Nordhessen, beheimatet im schönen Unterföhring in Bayern. Mit Tanja teilt sie die Abneigung gegenüber Ungerechtigkeiten jedweder Art.

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