Homeschooling: Eltern und Kinder im Ausnahmezustand
Hausaufgaben und Homeschooling: Zu diesem Thema hält die Lern- und Legasthenietherapeutin Bettina Tjan aktuell im Landkreis München vielerorts Online-Vorträge. Sie sind gut besucht, denn das Thema treibt natürlich derzeit viele Eltern um. Ciao Cacao hat die Expertin gefragt, unter welchen Bedingungen Homeschooling überhaupt funktionieren kann.
Ciao Cacao: Die Schulbank drückt seit Mitte Dezember kein bayerisches Schulkind mehr. Stattdessen heißt es für alle Lernen von Daheim aus. Was sind dabei Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für Eltern und Kinder?
Lebensbereiche vermischen sich
Bettina Tjan: Ich weiß gar nicht, wo ich da anfangen soll. Die Situation, in der wir sind ist eine krasse Ausnahmesituation. In der Schule gelten ganz andere Regeln als zu Hause. Das wird durch Räume deutlich, die klar machen, „hier wird gelernt“. Außerdem begegnen sich Schüler und Lehrer mit Distanz. Kinder und Eltern natürlich nicht. Momentan vermischen sich verschiedene Lebensbereiche: Arbeit, Schule und Privates.
Ciao Cacao: Und Eltern sind plötzlich auch Lehrer..
Bettina Tjan: Was gar nicht funktionieren kann. Viele der Eltern, mit denen ich aktuell spreche, denken, sie müssten das leisten, was sonst die Schule leistet. Das ist aber schlichtweg nicht möglich. Sie sind Mütter und Väter. Das ist die Ebene auf der sie ihren Kindern begegnen.
Ciao Cacao: Das bedeutet, wir Eltern sollten Fünfe gerade sein lassen und locker bleiben, wenn der Junior sein Arbeitspensum mal nicht schafft?
Bettina Tjan: Genau. So eine Situation sollte man den Lehrern dann auch ruhig widerspiegeln. An erster Stelle muss aber momentan stehen, dass es der Familie gut geht. Und zwar sowohl den Kindern, als auch den Eltern. Die Last, die Eltern aktuell tragen, ist sehr groß. Umso wichtiger, dass sie nicht vergessen, für sich selbst zu sorgen und bewusste Auszeiten zu nehmen.
Basics für erfolgreiches Homeschooling
Ciao Cacao: Welche Rahmenbedingungen können Eltern denn daheim für ihr Kind schaffen, damit es dem Distanzunterricht so gut wie möglich folgen kann?
Bettina Tjan: Wichtig ist ein Arbeitsplatz, an dem einigermaßen ungestört gearbeitet werden kann. Es sollte auch immer derselbe Platz sein. So entsteht eine Gewohnheit und die wirkt sich positiv auf das Arbeiten aus. Wichtig sind auch die „Basics“. Zu ihnen gehören Sauerstoff, ausreichende Flüssigkeitszufuhr, regelmäßiges Essen, genügend Schlaf, zwischendurch etwas Bewegung. Außerdem notwendig: Ein Schreibtisch, auf dem keine ablenkenden Spielsachen liegen, ein guter Stuhl, das richtige Schreibzeug und regelmäßiges Lüften. Wenn bei diesen äußeren Faktoren etwas nicht stimmt, wirkt sich das negativ auf die Energie des Kindes aus. Es kann jedoch Energie sparen, indem es sich gut organisiert und strukturiert.
Ciao Cacao: Wie wichtig ist generell die Struktur im Homeschooling-Alltag?
Bettina Tjan: Ziemlich wichtig. Ich rate dazu, Schulzeiten auch in etwa einzuhalten und während dieser Zeit ganz auf Arbeitsmodus zu stellen. Danach kommt dann der wohlverdiente Freizeitmodus.
Tipps für Eltern von Grundschülern
Ciao Cacao: Für Grundschüler ist Homeschooling oft besonders herausfordernd. Plötzlich ist jede Menge Eigeninitiative gefragt. Haben Sie für diese Altersgruppe besondere Tipps?
Bettina Tjan: Im Grundschulalter helfen oft noch Belohnungen. Eltern denken häufig sie müssten Lernen mit materialistischen Dingen belohnen. Viel wirkungsvoller ist es aber, wenn Kinder merken, sie haben eine gute Zeit beim Lernen. Zum Einen mit den Eltern und zum anderen mit sich selbst. Indem sie einen guten und fehlerfreundlichen Umgang mit sich beim Lernen entwickeln. Daraus resultiert, dass sie gerne lernen. Nachhaltiger und besser als jedes Belohnungssystem ist es, wenn Kinder eine eigene Motivation entwickeln.
Trotzdem kann man gelegentlich Belohnungen einsetzen. Bei meiner Arbeit als Legasthenietherapeutin erarbeiten sich die Kinder beispielsweise Muggelsteine für erledigte Aufgaben. Diese können sie in Spielminuten eintauschen. Ein anderer Tipp für Eltern von Grundschülern: Das Arbeitspensum in kleine Häppchen einteilen. Dafür nimmt man den jeweiligen Wochenplan zur Hand, schreibt gemeinsam mit dem Kind die Tagesaufgaben auf Post-its und hängt sie an eine Pinnwand. Wenn die Aufgabe erledigt ist, darf das Kind den Zettel abnehmen, zerknüllen und in den Papierkorb befördern. Auch das wirkt wie eine Belohnung.
Ciao Cacao: Wie ist Ihr Resümee nach rund zwei Monaten Lockdown samt Homeschooling?
Bettina Tjan: Ich stelle fest, dass die Motivation zu Hause zu lernen und zu arbeiten sinkt. Eltern und Kinder sind langsam aber sicher mürbe. Wenn es mit der Schule dann wieder losgeht, wird es allerdings nicht auf einen Schlag leichter. Auch das wird für alle Beteiligten erst einmal hart werden, denn es bedeutet wieder eine Umgewöhnung. Eltern sollten daher gelassen bleiben, wenn der Schulstart anfangs etwas holprig ist.
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