Der Feminismus hat ein Image-Problem
Den Satz „Ich bin Feministin“ habe ich (im Gegensatz zu Tanja) noch nie gesagt oder geschrieben. Das ist heute und hier eine Premiere. Warum ich ihn noch nie gesagt habe? Weil ich viel Phantasie habe und zynisch bin. Ich denke bei einer „Feministin“ als erstes an Alice Schwarzer. Und sie ist mir trotz ihrer vielen Verdienste für die Gleichstellung nicht besonders sympathisch. Zu verbissen, zu humorlos und in letzter Zeit auch noch irgendwie auf politischen Abwegen. Ich fürchte, mit dieser Art des Feminismus gewinnt man heutzutage keinen Blumentopf mehr.
Kürzlich war ich in einem Vortrag des Autors Boris von Heesen. Er stellte darin sein Buch „Was Männer kosten“ vor. Und sagte in der abschließenden Fragerunde einen denkwürdigen Satz zum Feminismus. Nämlich, dass er lieber von Geschlechtergerechtigkeit spreche – angestoßen von den Frauen. Ich bin da ganz bei ihm. Ich spreche auch lieber von Geschlechtergerechtigkeit. Feminismus ist eine Bewegung. Geschlechtergerechtigkeit dagegen ein Ziel.
Überall Alltags-Sexismus
Ich lebe in einer bayerischen 11.000-Seelen-Gemeinde. Im Alltag stelle ich immer wieder fest, dass die Mühlen hier sehr langsam und sehr konventionell mahlen. Zum Muttertag schenkte der Jüngste mir ein in der Kita gebasteltes, herzallerliebst gestaltetes Rezeptbuch. Auf dem Umschlagbild war ein Kochlöffel aufgeklebt. Dem 11-jährigen wird im Unterricht schlecht und er muss abgeholt werden? Bitte alle mal kurz raten, wen das Schulsekretariat dann in 100 % aller Fälle NICHT anruft. Genau. Meinen Mann. Obwohl seine Nummer genauso wie meine Nummer unter „Notfallkontakte“ angegeben ist. Und das sind nur zwei Beispiele. So wie bei uns läuft es anderenorts in Deutschland auch ab. Wir (und ich nehme mich da gar nicht aus) sind halt so sozialisiert. Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht sogar ein klitzekleines bisschen verständlich, dass es nach wie vor Männer und Frauen gibt, die den Feminismus argwöhnisch betrachten.
Es kommt eben ganz darauf an, in welcher Bubble man unterwegs ist und wie intensiv man über das Thema nachdenkt. Denkt man überhaupt darüber nach? Ist man dem Thema zwar zugetan, möchte es aber nicht zugeben? Oder ist man nur dem Wort gegenüber mit einer unterbewussten Abwehrhaltung unterwegs, weil man – so wie ich – den Feminismus mit einer schmallippigen Alice Schwarzer assoziiert.
Egal sein kann Mann oder Frau der Feminismus jedoch eigentlich nicht. Selbst die konservativsten Zeitgenossen haben Töchter oder Enkeltöchter, für die sie sicher nur das Beste wollen. Und aktuell bleibt das Beste sehr häufig den Männern vorbehalten. Zum Beispiel in Sachen Karriere.
Wie eckt der Feminismus im Alltag an
Ich bin kürzlich zufällig über einen etwas älteren Fall zum Thema „Wie eckt der Feminismus im Alltag an“ gestoßen. Es ging damals um Hintern-Werbung von Sportlerinnen aus Thüringen. Das feministische Online-Magazin Pinkstinks.de hatte in den Sozialen Medien kritisch kommentiert. Und bekam dafür einen Shitstorm ab. Alle fanden den Slogan „Prachtregion“ als Werbung für ein Tourismusgebiet auf Sportlerinnen-Shorts total okay, nur die spaßbefreiten Feminist:innen von Pinkstinks.de gingen wieder zum Lachen in den Keller, so die Kernaussage einer Stellungnahme des Landkreises, in dem sich die ganze Geschichte abspielte. Die Landrätin wird darin mit der Aussage „Wir brauchen keine selbst ernannten Sittenwächter…“, zitiert. Daraufhin keilte Pinkstinks in einem ziemlich klugen und ziemlich witzigen Blog-Post zurück.
Um beim Hintern-Thema zu bleiben: Anfang der Woche haben mein Mann und ich Hausboot geschaut. Ich bleibe auf solchen alten Schinken manchmal hängen. Sie faszinieren mich – auch wenn sie völlig aus der Zeit gefallen und (leider) durch und durch sexistisch sind. Ein Freund des Hauptdarstellers Cary Grant haut der hammermäßig aussehenden Sophia Loren herzhaft auf den Po. Sie kippt ihm daraufhin seinen Drink ins Gesicht. Soweit so korrekt. Was ich viel befremdlicher fand als den dämlichen Anmach-Spruch des Po-Grabschers: Seine Gattin, die die ganze Szene mitbekommen hat, reagiert voller Verständnis – für ihren Mann…
Die Po-Szene von 1958 ähnelt der von 2018. In beiden Fällen werden Frauen auf Äußerlichkeiten reduziert und andere Frauen reden das Problem klein oder erkennen es gar nicht als solches.
Gleichstellung ist Zukunftsmusik
Gleichstellung ist also immer noch Zukunftsmusik und Sexismus nach wie vor ein Thema. Deswegen brauchen wir den Feminismus. Nochmal kurz zurück zu seinem Image-Problem. Ich habe in letzter Zeit ziemlich viel feministische Literatur gelesen. Mein ganz persönlicher Eindruck: Auch viele der „neuen Feministinnen“ sind in ihren Veröffentlichungen sehr verkopft, sehr wissenschaftlich und sehr trocken unterwegs. Studien und Statistiken können erschlagend wirken – zumindest auf Menschen, die nicht selbst wissenschaftlich arbeiten. Man / Frau kann über Feminismus auch anders sprechen. So wie die Kolleg:innen von Pinkstinks zum Beispiel. Leider ist auch das kein Garant für mehr Akzeptanz – wie man am Hintern-Gate sieht.
Zu guter Letzt noch eine Buchempfehlung.
Wir sind doch alle längst gleichberechtigt von Alexandra Zykunov. Gut beobachtet und vor allem kurzweilig und humorvoll geschrieben mit Alltags-Beispielen, die wir alle kennen. Null Prozent Alice Schwarzer-Style.
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2 Kommentare
Elisabeth Rupprecht
Liebe Julia,
Ich kann so gut nachvollziehen, wie es dir mit der Selbstbezeichnung Feministin geht. Auch mir gelingt es erst in den letzten paar Jshren mich öffentlich zu bekennen. Natürlich wird man dann oft, mit den von dir genannten negativen Zuschreibungen überhäuft. Auf der anderen Seite durfte ich auch schon öfters mal die tiefe Verbundenheit. Solidarität und gemeinsame Freude gemeinsam mit anderen Feminist*innen erleben. Diese Momente sind kostbar und mein Outing wert.
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