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Warum wir alle Feminist:innen sein sollten oder was ist eigentlich Gender-Gap?

Vergangene Woche hatte das FamilienHaus Unterföhring e.V. die unglaubliche Mareice Kaiser zu Gast bei einer Online-Lesung. Sie las aus ihrem Buch „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ und traf damit offenbar mehr als nur einen Nerv. Denn es entspann sich während und nach der Lesung eine lebhafte Diskussion um Gender-Gap, Feminismus und Mental Load. Im Nachgang gab es einige Rückfragen zu Buchtipps und der Wunsch nach mehr zu diesem Thema. Dies veranlasste mich, nochmals einen intensiveren Blick darauf zu werfen.

Es könnte aktueller und passender nicht sein: #MeToo beim Springer-Verlag, Machtmissbrauch im Joballtag von Männern gegenüber Frauen, eine neue Bundesregierung bildet sich gerade und meine Twitter-Timeline ist voller Plädoyers für ein paritätisches Kabinett. Und nun soll auch endlich wieder eine Frau Bundestagspräsidentin werden. Nach über 75 Regierungsjahren und unzähligen Legislaturperioden ist sie übrigens erst die dritte Frau in diesem Amt.

„Man geht als Feministin in den Kreißsaal und kommt als Hausfrau und Mutter wieder heraus“

Heike Kleen

Was genau ist das denn aber eigentlich Feminismus? In meinem Umfeld gibt es viele die sagen, das brauchen wir doch heute nicht mehr. Frauen von heute sind schließlich alle emanzipiert. Feminismus ist doch ein aller Hut und Alice Schwarzer bei vielen jungen Frauen nicht mal mehr bekannt (und wenn dann als Kampf-Emanze verschrien).

Wir sind doch längst alle gleichberechtigt. Ähnlich habe ich auch gedacht – als ich noch keine Kinder hatte. Hatte ich mir die Zeit als Mutter doch sehr gleichberechtigt ausgemalt. Heike Kleen (siehe Buchtipp unten: „Geständnisse einer Teilzeitfeministin“) hätte es nicht treffender formulieren können: Man geht als Feministin in den Kreissaal und kommt als Hausfrau und Mutter wieder heraus. Und leider ist das die bittere Wahrheit.

Gleichberechtigung? Fehlanzeige

Ich selbst bezeichne mich als Feministin. Seit einiger Zeit beschäftige ich mich sehr intensiv damit. Lese Bücher und Zeitschriften und engagiere mich auch politisch für Gleichberechtigung und echte Teilhabe von Frauen. Feminismus bedeutet nichts anderes, als dass dem Leben von Frauen die gleiche Aufmerksamkeit zuteil wird wie dem Leben von Männern. Wer kann das schon als falsch empfinden? Und wer kann dann von sich sagen, kein*e Feminist*in zu sein?

Ich habe zwei Töchter. Ich möchte ihnen gerne fürs Leben mitgeben, dass es völlig egal ist, mit welchem Geschlecht sie geboren werden – sie haben dieselben Chancen im Leben und können alles sein. Leider ist das aber nicht die Realität. Denn Mädchen bekommen schon in frühester Kindheit widergespiegelt, dass ihr Leben nur weich und rosarot ist. Das beginnt schon beim Spielzeug (Mini-Bügelbrett, Puppenküche, Kinderstaubsauger für die Care-Arbeiterinnen von morgen), in Kinderbüchern, Filmen usw. Mädchen sind fast immer die verträumten Prinzessinnen und Jungs die Abenteurer (Feuerwehrmänner, Polizisten, Ritter etc.). Es gibt rosa Mädchen-Überraschungseier, Lebensmittel die nach weiblich oder männlich unterscheiden – Müsli getrennt nach Girls oder Boys. Herzlich willkommen in der Rosa-Hellblau-Falle. Für Gender-Gap-Kuriositäten dieser Art schaut Euch einfach mal die Seite des Goldenen Zaunpfahl an.

Alles Gender-Gaga oder was?

Leider habe ich bislang die Erfahrung machen müssen, das auch in Schulen nur wenig Gleichberechtigung herrscht und gelehrt wird. Meine Tochter lernte im 4. Schuljahr beim Thema Sexualkunde was typisch Jungs und typisch Mädchen ist. So zum Beispiel seien Jungs besser in Mathe. Mädchen seien dagegen Heulsusen oder Zicken. Jungs, so hieß es, spielen Fußball und zwar viel besser als die Mädchen. Es gibt sicher biologische und damit körperliche Unterschiede zwischen Mädchen und Jungs aber bitte erzählt unseren Kindern in 2021 nicht mehr solch einen Stuss in der Schule.

Damit sind wir auch schon beim Thema Gendern, was offenbar ja vor allem bei vielen Männern Ausschlag auslöst. Dies gehört für mich genau an diese Stelle. Lehrkräfte an unserer Schule gendern nämlich nicht. Meine Tochter hat dies schon mehrmals angemerkt und fühlt sich dadurch manchmal ausgegrenzt. „Ich bin da nämlich nicht immer mit gemeint“, sagte sie mir. Und damit hat sie völlig Recht. Wollen wir Frauen und Mädchen denn überall immer nur mit gemeint sein? Wir machen mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung aus. Da wird es nicht zu viel verlangt sein zumindest immer die weibliche Form mit anzusprechen. Es muss ja nicht immer das Gendersternchen sein. Es gibt genug Studien, die belegen, dass es nämlich schon einen Unterschied in den Köpfen macht wenn alle Geschlechter angesprochen werden.

Gender-Gap – was ist das denn?

Gender-Gap bedeutet „Geschlechter-Kluft“. Ihr habt sicher schon davon gehört, dass für unzählige Dinge in unserem Alltag immer nur Männer als Vergleichspersonen herangezogen werden. Vielmehr: Unsere Umwelt wurde von Männern für Männer gestaltet. Es fängt beim Crashtest-Dummy an geht über Diagnoseverfahren in der Medizin bis hin zu Dosierung von Medikamenten. Frauen sind oft nicht Teil von Medikamententests, da der weibliche Körper durch Hormone viel zu kompliziert für Studien wäre. Das führt aber dazu, dass Medikamente natürlich bei Frauen ganz anders dosiert werden müssten oder Herzinfarkte bei Frauen viel seltener erkannt werden als bei Männern. Auch technische Geräte wie Smartphones etc. sind für Frauen nicht erdacht worden. Auch hier standen Männer im Zentrum des Interesses was das Handling beispielsweise betrifft. Hierzu gibt es eine sehr interessante Sendung von Leschs Kosmos: Gendern – Wahn oder Wissenschaft? Ihr werdet verblüfft sein.

Corona hat Frauen in alte Rollenbilder zurückgeworfen

Corona hat auch mir deutlich gezeigt, dass ich so emanzipiert sein kann wie ich möchte und dennoch in alte Rollenbilder zurückfalle. Warum leben wir eigentlich immer noch wie unsere eigenen Großmütter nur mit einer zusätzlichen Teilzeitstelle? Nur wenige gestehen sich das ein und fangen an, das zu hinterfragen. Warum nicht beginnen, das zu ändern und sich von belastendem Mental Load befreien? Ich erlebe in meinem Alltag, dass die Schule immer mich anruft, wenn eins der Kinder krank ist. Den Mann will man schließlich nicht bei der Arbeit belästigen. Und während Corona waren es ja vor allem die Mütter, die die Kranktage der Kinder genommen haben, da die Männer ja meistens mehr verdienen und so der Gehaltsverlust im Rahmen bleibt. Verrückte Welt.

Was es mit dem Gender-Care-Gap auf sich hat

Unbezahlte Arbeit spielt im Leben von Frauen weltweit eine größere Rolle als in dem von Männern. Und weltweit werden Frauen für die gleiche oder gleichwertige Arbeit schlechter bezahlt als Männer. Das ist nicht etwa ein Gefühl von mir, das ist vielfach belegt. Schaut auch gerne dazu den Frauen-Atlas von Joni Seager (siehe Büchertipps) an, hier gibt es Fakten und Infografiken zu allen Themen rund um uns Frauen.

Das Narrativ ist doch folgendes: Als Frau muss ich alles sein, alles schaffen, alle mir zugedachten Rollen ausfüllen. Geliebte, Ehefrau, fürsorgende Mutter, berufstätig sein, fürs Alter vorsorgen: hier ist Erschöpfung vorprogrammiert. Es gibt keine Pause – weder in unserem Alltag noch in unseren Köpfen. Mental Load ist während Corona zum Schlagwort für all das geworden. Hier braucht es mehr Ideen aus der Politik und noch mehr Aufmerksamkeit für Frauen.

Solidarität heißt das Zauberwort

Immer wieder ernte ich Kritik, weil ich mich als Feministin bezeichne und für feministische Themen einsetze. Offenbar begreifen das viele als eine Art Kampfansage. Sie empfinden mich als scheinheilig, weil ich nach außen natürlich auch nicht das Idealbild an Geschlechtergerechtigkeit abgebe. Natürlich unterliege aber ich selbst auch all den gesellschaftlichen Zwängen und Corona hat diese noch verfestigt.

Oftmals sind es Männer die sich kritisch in diese Richtung äußern. „Bist wohl eine Schwanz-ab-Schwarzer oder unglücklich in Deiner Partnerschaft?“ heißt es da. Oder noch besser: Sie bedauern meinen Partner. Welch ein Blödsinn und wie armselig, wenn Mann sich so wenig reflektiert den Rechten des anderen Geschlechts zuwendet. Schade ist obendrein, dass Frauen untereinander auch oft ziemlich wertend miteinander umgehen. Wer ist die bessere Mutter, wer bekommt Familie und Job besser gemanaged? Wer ist eine Rabenmutter, weil sie ihre Kinder schon viel zu früh betreuen lässt oder wer ist die Glucke, weil die Kinder immer noch im Elternbett schlafen?

Helfen kann hier nur eines, dass wenigstens wir Frauen untereinander solidarisch sind. Uns gegenseitig den Rücken stärken und für unsere Rechte einstehen. Und am wichtigsten: Es unseren Kindern – egal ob Mädchen oder Jungen – so weitergeben. Denn es gibt noch viel zu tun. Packen wir es an!


Literatur-Empfehlungen zum Thema Feminismus und Gender-Gap

Meine Hymne zu diesem Thema derzeit ist „Genauso scheisse“ von Suchtpotenzial ;-). Außerdem möchte ich Euch noch unbedingt das Online-Magazin EDITION F ans Herz legen. Pinkstinks ist ebenfalls ein Online-Magazin und beschäftigt sich vor allem mit Sexismus und traditionellen Geschlechterrollen. Der Claim gefällt mir ganz besonders gut: Zeiten gendern sich.

Und zu guter Letzt noch meine TOP 15-Buchtipps:

  • Ein anderer Blick von Emma, Unrast-Verlag, € 19,90 / ISBN: 978-3-89771-330-7: Klassiker in Comicform – Feministischer Comic gegen die Zumutungen des Alltags
  • Der Frauenatlas von Joni Seager, Hanser-Verlag, € 22,- / ISBN: 978-3-446-26829-6 / Wie steht es wirklich um die Rechte und Chancen der Frauen in unserer Welt? Ungleichheit verstehen in 164 Infografiken und Karten
  • Big Ideas. Das Feminismus-Buch von Georgie Carroll, Beverly Duguid und Kathryn Gehred, Verlag Dorling Kindersely, € 24,95 / ISBN: 978-3-8310-3912-8 / Facettenreich, komplex, vielfältig, revolutionär – der Feminismus zählt zweifelsohne zu den wichtigsten Bewegungen unserer Zeit. Dieses innovative Nachschlagewerk punktet mit informativen Diagrammen & originellen Grafiken.
  • Das Unwohlsein der modernen Mutter von Mareice Kaiser, Rowohlt Verlag, € 16,- / ISBN: 978-3-499-00349-3 / Versorgerin, Businesswoman, Mom I’d like to fuck – Mütter sollen heute alles sein. Dass darunter ihr Wohlbefinden leidet, ist kein Wunder. Mareice Kaiser, Journalistin und selbst Mutter, stellt immer wieder fest: Das Mutterideal ist unerreichbar und voller Widersprüche. Nichts kann man richtig machen und niemandem etwas recht. Mehr dazu könnt Ihr übrigens auch in unserem Mareice-Kaiser-Interview lesen.
  • Die Frau fürs Leben ist nicht das Mädchen für alles von Laura Fröhlich, Kösel-Verlag, € 16,- / ISBN: 978-3-466-31146-0 / Was Eltern gewinnen, wenn sie den Mental Load teilen.
  • Raus aus der Mental Load-Falle von Patricia Cammarata, Julius Beltz GmbH & Co. KG, € 17,95 / ISBN: 978-3-407-86632-5 / Mental Load ist das Wort für die Last im Kopf, die Frauen grenzenlos stresst. Patricia Cammarata, Psychologin und bekannte Elternbloggerin, beschreibt konkrete Auswege aus der Mental Load-Falle. 
  • Das Patriarchat der Dinge – warum Frauen die Welt nicht passt von Rebekka Endler, DuMont Buchverlag, € 22,- / ISBN: 978-3-8321-8136-9 / Unsere Umwelt wurde von Männern für Männer gestaltet. Rebekka Endler öffnet uns die Augen für das am Mann ausgerichtete Design, das uns überall umgibt. Und sie zeigt, welche mitunter lebensgefährlichen Folgen es für Frauen hat.
  • Unsichtbare Frauen von Caroline Criado-Perez, btb, € 15,- / ISBN: 978-3-442-71887-0 / Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert,
  • Geständnisse einer Teilzeit-Feministin von Heike Kleen, Rowohlt Taschenbuch, € 12,- / ISBN: 978-3-499-00613-5 / Mein Verstand ist willig, aber der Alltag macht mich schwach.
  • Wut und Böse von Ciani-Sophia Hoeder, Carl Hanser Verlag, € 18,- / ISBN: 978-3-446-27115-9 / Frauen, die ihrer Wut freien Lauf lassen, haben schnell einen schlechten Ruf. Doch diese Wut kann eine mächtige Waffe gegen persönliche und politische Unterdrückung sein. Ciani-Sophia Hoeder fragt nach: Wie haben wütende Frauen Geschichte und Popkultur geprägt? Welchen Einfluss haben die Erziehung von Mädchen und der abfällige Umgang mit Sorgearbeit auf die seelische Gesundheit von Frauen? Und wie wird aus Wut Mut zur Veränderung?
  • Die Erschöpfung der Frauen (ganz aktuelle Neuerscheinung) von Franziska Schutzbach, Droemer Verlag, € 18,- / ISBN: 978-3-426-27858-1 / Frauen haben heute angeblich so viele Entscheidungsmöglichkeiten wie nie zuvor. Und sind gleichzeitig so erschöpft wie nie zuvor. Denn nach wie vor wird von ihnen verlangt, permanent verfügbar zu sein. Die Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach schreibt über ein System, das von Frauen alles erwartet und nichts zurückgibt – und darüber, wie Frauen sich dagegen auflehnen und alles verändern: ihr Leben und die Gesellschaft.  
  • Die Vier-in-einem-Perspektive von Frigga Haug, Argument-Verlag mit Ariadne, € 19,50 / 978-3-88619-336-3 / Im Fokus von Frigga Haugs „Vier-in-einem-Perspektive“ steht die Utopie einer gerechten Verteilung von Erwerbsarbeit, Familienarbeit, Gemeinwesensarbeit und Entwicklungschancen. Sie entwickelt einen Kompass, der die vier Bereiche auf einen Zusammenhang orientiert und in dieser Bündelung zugleich ‚realpolitisch‘ und emanzipatorisch-gesellschaftsverändernd ist.
  • Die Rosa-Hellblau-Falle von Almuth Schnerring und Sascha Verlan, Kunstmann Verlag, € 16,95 / ISBN: 978-3-88897-938-5 / Rollenklischees im Familienalltag – und wie man ihnen entkommt
  • Ein Mann ist keine Altersvorsorge von Helma Sick und Renate Schmidt, Penguin Verlag, € 10,- / ISBN: 978-3-328-10355-4 / Warum finanzielle Unabhängigkeit für Frauen so wichtig ist
  • Die schlechteste Hausfrau der Welt von Jacinta Nandi (gibt es auch als Hörbuch), Edition Nautilus, € 16,- / ISBN: 978-3-96054-240-7 / Alle wollen über Feminismus reden, über geile, coole Themen, die junge Frauen ansprechen. Über eine besondere Form des Gender-Gap, das Gender-Pay-Gap zum Beispiel. Was nicht geil ist: Hausarbeit. Was niemanden interessiert: die Unterdrückung der Hausfrau.

* aka Madame Schärnée * lebt mit Monsieur Schärnée und zwei Töchtern im nördlichen Landkreis München * hoffnungslose gerechtigkeitsliebende Weltverbesserin, bekennende Feministin und Buchliebhaberin * Vizepräsidentin des Vereins Parité in den Parlamenten e.V. * redet ihr Gegenüber gerne in Grund und Boden und führt endlose Diskussionen über Gleichberechtigung und Politik * wirbt für mehr Mütter in der Politik * glaubt (trotzdem) an das Gute im Menschen * liebt orientalisches Essen wie Hummus, Falafel und Co * Mitgründerin des Familienzentrums FamilienHaus Unterföhring e.V * lernt durch ihr ehrenamtliches Engagement und den Blog viel über sich selbst und das Leben * ihre Lieblingshashtags: #dieHälftederMachtdenFrauen und #smashthepatriarchy #MütterindiePolitik

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