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Was Mütter zum Überleben brauchen

Seit der Corona-Pandemie hat Multitasking für viele Mütter eine neue Dimension erreicht. Auch ich komme mir an vielen Tagen vor, wie ein Krake. An jedem Arm hängt ein Kind, ein Termin, eine To-Do-Liste, ein Problem, eine Laptop-Tasche oder eine Aufgabe, die ich sofort lösen muss. Abends bin ich standardmäßig fix und fertig. Während dieses andauernden Eiertanzes habe ich die ganze Zeit das Gefühl, dass wir Familien gerade komplett auf der Strecke bleiben. Das hat mit Mental Load, einer falschen Erwartungshaltung an Mütter und mit veralteten Rollenbildern zu tun, findet Mareice Kaiser, Chefredakteurin des Online-Magazins Edition F, Autorin und Kolumnistin. Darüber, was die Pandemie vor allem uns Frauen abverlangt, habe ich mit Mareice Kaiser im Interview gesprochen. 

Ciao Cacao: Du hast den Hashtag #CoronaEltern ins Leben gerufen. Welches Feedback hast Du hier bekommen? 

M. Kaiser: „Was machen eigentlich Eltern, die nicht mehr können? Ich frage für, nun ja, fast alle, die ich so kenne.“ Das habe ich am 16. April getwittert. Auf diesen Tweet bekam ich unheimlich viele Reaktionen. Zum Beispiel die Antwort der Journalistin Carolin Turzer: „Ich habe mich gestern heulend auf den Küchenboden gelegt. Meine Zweijährige hat meinen Rücken gestreichelt und der Sechsjährige meinen Kopf. Hat etwas geholfen.“ Daraufhin habe ich eine Kolumne geschrieben und dazu aufgefordert, von den jeweiligen Erfahrungen zu berichten. Der Hashtag ging viral, seitdem berichten viele Eltern auf Instagram und Twitter von den Überlastungen während der Corona-Pandemie. Der Resonanzraum war und ist also groß – politisch hat sich seitdem allerdings wenig getan.

Alles unter einen Hut bringen – geht das überhaupt?

Ciao Cacao: Als Mütter trösten wir, kleben Pflaster auf Knie, hören zu, helfen bei den Hausaufgaben, übernehmen Chauffeursdienste, kochen, waschen, wechseln Windeln. Im Job geben wir 110 Prozent und in unseren Partnerschaften versuchen wir das Gleiche. Lässt sich das überhaupt alles vereinen? 

M. Kaiser: Nein, das funktioniert nicht. Die Erwartungen der Gesellschaft an Mütter ist, dass sie das machen, was Männer seit Jahrzehnten machen (Vollzeit arbeiten, Karriere) plus das, was Mütter seit Jahrzehnten machen (unbezahlte Care-Arbeit, Selbstaufopferung für die Kinder). Beides zusammen geht schlicht nicht, deshalb spreche ich statt von Vereinbarkeit lieber von Unvereinbarkeit.

Ciao Cacao: Was hat die Corona-Pandemie mit den Rollenbildern in unserer Gesellschaft gemacht? 

M. Kaiser: Die Wissenschaftlerin Jutta Allmendinger hat den Begriff der „Re-Traditionalisierung“ geprägt. Mir reicht der Begriff aber nicht, ich würde das „Re“ streichen. Aus meiner Perspektive war die Traditionalisierung nie weg, sie wurde durch die Krise einfach nur wieder sichtbarer. Kommt eine Krise, werden die Mütter direkt wieder ins Private gedrängt. 

Ciao Cacao: Wo können wir Eltern denn jetzt ansetzen? Wie können wir wieder mehr Gleichgewicht herstellen? 

M. Kaiser: Ich halte nichts davon, für strukturelle Probleme nach privaten Lösungen zu suchen.

Was sich gesamtgesellschaftlich ändern muss

Ciao Cacao: Und was muss Deiner Meinung nach dann gesellschaftlich bzw. politisch passieren, damit es uns Müttern besser geht? 

M. Kaiser: Ich plädiere für eine Politik, die Ein-Eltern-Familien in den Mittelpunkt aller Entscheidungen stellt. Konkret heißt das: Mütter brauchen Zeit und Geld und verlässliche und gute Betreuungsangebote für ihre Kinder. Mütter brauchen flexible Arbeitszeiten. Mütter brauchen eine Arbeitswoche von höchstens 25 Stunden pro Woche mit einem Gehalt, von dem sie leben können. Denn nur so haben sie auch mal Zeit für sich.

Mütter brauchen kurze Fahrtwege, guten, öffentlichen Personennahverkehr, sichere Fahrradwege für sich und ihre Kinder und, wenn möglich, Homeoffice (und damit meine ich nicht Kinderbetreuung und Homeoffice und Home-Everything wie es während der Corona-Krise erwartet wurde). Mütter brauchen bezahlbare Wohnungen, saubere Luft und eine nachhaltige Klimapolitik – für sich selbst und vor allem für ihre Kinder. Das, was Mütter brauchen, brauchen alle anderen Menschen auch. Mütter brauchen es bloß dringender.


Fotocredit: Carolin Weinkopf

Mareice Kaiser ist Mutter, Journalistin und Bestseller-Autorin. Über ihr neuestes Buch, „Das Unwohlsein der modernen Mutter“, sprach sie Mitte Oktober im Rahmen eines sehr gut besuchten Online-Vortrags. Der Vortrag fand im Rahmen der Vortragsreihe Eltern als Team – gemeinsam raus aus dem Stress statt. Initiiert wird die Reihe vom FamilienHaus Unterföhring e.V., der VHS München Nord, dem Familienstützpunkt im Norden des Landkreises München und weiteren Kooperationspartnern. Kommende Termine aus der Reihe findet Ihr auf www.vhs-nord.de.


Fotocredit Corona-Mamaversum: Landesverband Mütter- und Familienzentren in Bayern e.V. in Zusammenarbeit mit dem Landesverband der Mütterzentren in NRW, Idee und Layout: Sabine Kauffmann

Mutter von Vieren und brennt als solche für Familienthemen, schreibt gern, liest gern, arbeitet als Online-Redakteurin, ist Multitasking-geübt, mag Sci-Fi, hasst Rosenkohl, aufgewachsen in Nordhessen, beheimatet im schönen Unterföhring in Bayern. Mit Tanja teilt sie die Abneigung gegenüber Ungerechtigkeiten jedweder Art.

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