Familienalltag,  Gleichstellung

Familienalltag nicht im Griff: Vom ewigen Work-Life-Struggle

Vor ein paar Tagen staubte ich das Bücherregal ab. Dabei fiel mir ein Buch in die Hände, in dem ich lange nicht herumgeblättert habe. Familienalltag sicher im Griff, heißt es. Auf dem Buchcover sind eine Frau und ein kleines Mädchen abgebildet. Mit dem Kind auf dem Schoß schreibt die Frau etwas in einen übervollen Terminkalender. „Mama kriegt Woche für Woche alles gewuppt“, sagt das Bild. Und nicht nur das: Sie lächelt dabei auch noch! Denn schließlich ist sie super organisiert.  

Ich habe mir das Buch vor einigen Jahren gekauft, es war kurz nach der Geburt unseres zweiten Kindes. Das Management des Familienalltags lag zum Großteil bei mir, entglitt mir aber zusehends. Als meine Tochter geboren wurde, war mein Sohn gerade 14 Monate alt. Ich hatte also ein großes und ein kleines Baby zu versorgen und der Haushalt blieb dabei ziemlich auf der Strecke. 

Morning-Run

Ich war also damals auf der Suche nach Lösungen. Und das Buch sollte sie liefern. Eines dieser „Alles im Griff-Rezepte“ lautete „Morning-Run“. Das geht so: Man stelle sich vor, in 20 Minuten schneit überraschend Besuch zur Tür herein. Was sollte bis dahin sauber genug sein, damit der Besuch nicht denkt, er sei bei Schweins gelandet? Die betreffenden Flächen und Ablagen räumt man auf und Tada! Die Schwiegereltern oder der Bofrost-Lieferservice können kommen. 

Ich fand das Buch mal nützlich. Auch dann noch, als ich schon längst wieder arbeitete. Trotz des furchtbaren Klischees auf dem Cover, das besagt, dass natürlich Muttern für den Familienalltag zuständig ist. Zum Führen von To-do-Listen sind hier einige hilfreiche Tipps enthalten. Und ich bin ein großer Freund von To-do-Listen. Das Problem bei ihnen: Es kommen immer neue Punkte hinzu. Weshalb die To-do-Liste niemals abgearbeitet werden kann. Und auch beim Morning-Run muss man sich fragen: Wieso sollte ich jemandem suggerieren, dass meine Wohnung  zu jeder Tageszeit blitzblank aussieht? Morgens um 9 liegt bei uns standardmäßig irgendwo Dreckwäsche rum und in der Küche stapelt sich das dreckige Geschirr. Na und? Ist das nicht in jedem Haushalt mit Kindern (und ohne Putzhilfe) so?

Was ich schaffe, ist völlig genug

Das Buch transportiert die falsche Message. Nämlich die, dass ich etwas ändern muss und dass das, was ich schaffe nicht ausreicht! Völliger Quatsch! Ich habe es ins Altpapier befördert. Ebenso wie das „Handbuch zur Stressbewältigung“, das ebenfalls auf dem Ratgeber-Regalbrett stand und zu mehr Achtsamkeit beim Zähneputzen rät. Das Handbuch hatte diese rüde Behandlung eigentlich nicht verdient, aber ich war sauer. 

Wieso werden derartige Bücher überhaupt veröffentlicht? Was sagt das über uns als Gesellschaft aus? Ich habe den Familienalltag natürlich NICHT die ganze Zeit im Griff. Ich habe auch noch einen Job-Alltag und ich habe fast immer zu viel zu tun. Und ich bin damit auch nicht alleine. Ganz vielen anderen Müttern geht es genauso. Wir kämpfen allesamt um Vereinbarkeit. Und darum, dass man uns die nötige Wertschätzung entgegenbringt – sowohl im Job als auch für Care-Arbeit.  Wir brauchen aber keine Ratschläge, wie wir den enormen Mental Load besser aushalten können. Das ist, als würde man einen Packesel mit Lordosestütze ausrüsten, damit er trotz Rückenbeschwerden noch mehr tragen kann. 

Step 1: Entschleunigung

Apropos Rückenschmerzen: Die habe ich gerade. Sehr wahrscheinlich stressbedingt. Stress erhöht den Muskeltonus. Das wiederum führt zu Verspannungen und Fehlhaltungen. Ich habe mich deshalb – und weil ich wirklich so richtig k.o bin – entschlossen, in einem ersten, kleinen Schritt zu entschleunigen und von nun an regelmäßig zu streiken. Unabhängig davon, ob das gesamtgesellschaftlich (oder innerfamiliär von meinen Kindern) gern gesehen wird oder nicht. Ich werde ab jetzt jeden Freitag etwas nur für mich tun. Den Anfang habe ich mit einem Magic-Glitzer-Fußbad ✨ gemacht. Und währenddessen am helllichten Vormittag eine Folge meiner aktuellen Lieblingsserie geschaut. Die Idee, währenddessen Socken zu sortieren, habe ich wieder verworfen. Können die Kinder machen. Nächsten Freitag folgt ein Update. Vielleicht gehe ich da alleine ein Eis essen. 

Und hier noch eine PodcastEmpfehlung zum Thema (Un-)Vereinbarkeit: Isabel von Little Years hat die Journalistin Sabine Rennefanz zum Thema „Warum gehen Job und Familie für Frauen so schlecht zusammen“ interviewt.

(Den hier erwähnten Seitenhieb mit der „Teilzeit-Mutti“ kenne ich übrigens auch)

Mutter von Vieren und brennt als solche für Familienthemen, schreibt gern, liest gern, arbeitet als Online-Redakteurin, ist Multitasking-geübt, mag Sci-Fi, hasst Rosenkohl, aufgewachsen in Nordhessen, beheimatet im schönen Unterföhring in Bayern. Mit Tanja teilt sie die Abneigung gegenüber Ungerechtigkeiten jedweder Art.

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