Gleichstellung

Altersarmut + Frauen: Who cares?

Vor einigen Wochen bekam ich meinen jährlichen Brief von der Rentenversicherungsanstalt mit meinen Renteninformationen. Dieser versetzt mich regelmäßig in einen Schockzustand, er frustriert mich und er macht mich irre wütend. Seit meinem 16. Lebensjahr arbeite ich. Als Schülerin habe ich in den Sommerferien gejobbt, mir meinen Führerschein mit einer Nebentätigkeit finanziert und auch im Studium habe ich immer viele Jobs gehabt, um mich über Wasser zu halten. Seit meinem Hochschulabschluss arbeite ich festangestellt. Zu manchen Zeiten sogar in mehreren Jobs. Ich bin „nebenbei“ selbständig mit einem Kleingewerbe und arbeite zusätzlich schon seit einigen Jahren viele ehrenamtliche Stunden pro Woche im sozialen und politischen Bereich. Trotzdem: Am Ende droht Altersarmut uns Frauen. Am Ende meines Erwerbslebens stehe ich laut Renteninformationen vermutlich vor einem finanziellen Desaster.

Wie kann es sein, dass hauptsächlich Frauen, die Carearbeit leisten und zusätzlich einer (manchmal auch mehr als einer) Erwerbsarbeit nachgehen, dennoch am Ende ihres Erwerbslebens in der Altersarmut landen? 

Um Wandel herbeizuführen, braucht es Wut.

Ciani-Sophia Höder in ihrem Buch: Wut und Böse

Unbezahlte Carearbeit

Der Kern, der dahinter steckt nennt sich unbezahlte Carearbeit. Es ist ein ernsthaftes und großes strukturelles Problem in unserer Gesellschaft, dass Sorgearbeit nicht wertgeschätzt und vor allem nicht bezahlt wird. Das führt in vielen Fällen zur Abhängigkeit vom Gutverdiener-Partner – Altersarmut ist da vorprogrammiert und damit ein vorwiegend weibliches Problem. Fast 65 Prozent aller Menschen, die im Rentenalter keine Bezüge bekommen, sind Frauen (Oxfam 2016)

Kürzlich sorgte Christian Lindner mit dem Thema Carearbeit für Furore. Er erzählt in einem Interview mit der Zeitung „Die Zeit“, dass, sobald Kinder da sind, irgendwann er dran sei mit der Carerbeit. „Er habe da schon seine Vorstellungen: Bücher schreiben, vielleicht promovieren, jagen, fischen, imkern.“ Bei so viel Romantik fällt mir tatsächlich gar nichts mehr ein. Mehr noch: Linders Aussagen sind ein Fausthieb ins Gesicht all derer, die jeden Tag – und vor allem auch während der Pandemie – mehrere Bälle in der Luft jonglieren und am Ende so unsere Gesellschaft am Laufen halten. Oftmals mit psychischen und physischen Nebenwirkungen für die sorgearbeitende Person (natürlich mehrheitlich Frauen). Auch ohne finanzielle Vergütung wird durch diese Geringschätzung mehr als deutlich: Wenn wir Frauen von heute auf morgen streiken würden und die Sorgearbeit niederlegen, dann würde unser gesellschaftliches System kollabieren. Denn wenn uns die Pandemie eines ganz deutlich gezeigt hat dann sicherlich: Carearbeit ist systemrelevant!

Altersarmut: Frauen und die Teilzeitfalle

Seit ich Mutter bin arbeite ich klassisch in Teilzeit, da mein Mann „selbstverständlich“ mehr verdient als ich. Obwohl ich ein Jahr früher ins Erwerbsleben gestartet bin und wir beide einen akademischen Abschluss haben. Er ist direkt mit einem höheren Gehalt eingestiegen als ich, denn: Als Mann fällt er potentiell nicht wegen Kindern für längere Zeit aus.

Ich versuche das Teilzeitthema dadurch zu kompensieren, dass ich mit einer zusätzlichen Selbständigkeit noch was dazuverdiene (was mir finanziell nur für den Moment was bringt) und das ich noch zusätzlich von zu Hause aus arbeite. Alles selbstverständlich neben Haushalt, Kindern und Co. Ich arbeite also festangestellt 20 Stunden pro Woche. Zusätzlich im Schnitt noch 5 Stunden/Woche Stunden für die Selbständigkeit und leiste vermutlich mindestens 6 Stunden pro Tag (365 Tage/Jahr) Carearbeit. Damit komme ich locker auf 70 Stunden Arbeit pro Woche (vermutlich sind das eher mehr, denn bei Sorgearbeit habe ich ja weder Urlaubstage noch Wochenende). Meine Ehrenämter und mein politisches Engagement (das ich als Ausgleich für mich brauche) nicht mit eingerechnet. Und jetzt haltet Euch fest: Mit meinem Gehalt, das ich in dieser Zeit verdiene, könnte ich mich alleine nicht über Wasser halten – geschweige denn eine Miete bezahlen. Und das ist sicherlich bei der Mehrheit der Frauen in Deutschland der Fall. Laut Statistischem Bundesamt waren 3,1 Millionen Erwerbstätige 2019 hierzulande von Armut bedroht. Das Motto: Zeit ist Geld gilt damit offenbar nicht für Frauen!

Und was ist mit Mental Load?

Wenn ich jetzt krank oder sonstwie ausfalle übernimmt selbstverständlich mein Mann. Wir versuchen zumindest, den Mental Load zu verteilen. Das gelingt uns allerdings auch nicht gleichberechtigt. Was auch daran liegt, dass er keine klassische 40 Stunden-Woche hat und am Ende der Woche viel mehr als diese offiziellen 40 Stunden auf seinem Erwerbs-Stundenzettel stehen. Das Problem dabei ist: Seine Stunden sind sehr viel mehr Wert als meine. Denn er wird für diese Arbeit bezahlt. Das bedeutet auch, dass Kinderkranktage selbstredend von mir genommen werden – wenn er das machen würde wäre das ein viel zu großer finanzieller Verlust für unsere Haushaltskasse. Das alleine macht mich ja schon wütend genug.

Was ist Carearbeit denn eigentlich Wert?

Habt Ihr Euch schon mal Gedanken darüber gemacht, wieviel Geld „verloren“ geht, weil Carearbeit unbezahlt bleibt?

Oxfam hat 2020 hat in einer Studie berechnet, dass Frauen weltweit mehr als zwölf Milliarden Stunden unbezahlte Carearbeit leisten. Das Statistische Bundesamt hat für 2016 alleine für Deutschland die angefallenen Sorgearbeitsstunden – berechnet mit dem Mindestlohn – auf 987 Milliarden Euro geschätzt. Das sind 39% des deutschen Bruttoinlandsproduktes. Um das nochmals zu verdeutlichen: Wir reden hier von fast einer Billion Euro, die in Deutschland hauptsächlich von Frauen umsonst gearbeitet wird. 

App-Tipp: Um einmal auszurechnen, wieviel die eigene Carearbeit denn so Wert ist, empfehle ich Euch unbedingt einen Blick in die App „Who Cares?“. Sie macht unbezahlte Sorgearbeit sichtbar. Das kann unter Umständen ein ganz schöner Schockmoment sein, wenn man die nackte Zahl vor sich sieht, die man kostenlos und ganz selbstverständlich nebenbei „arbeitet“.

Equal Care Konferenz

Carearbeit zu bezahlen oder anders wertzuschätzen ist für mich eine ganz zentrale wichtige politische Forderung. Sie ist aus meiner Sicht fast noch wichtiger als Equal Pay, was natürlich grundsätzlich auch ein wichtiges Anliegen ist. Jedes Jahr am 29. Februar/1. März wird auf Initiative von klische*esc e.V. und UN Women Deutschland e.V. der Equal Care Day begangen. In diesem Jahr auch wieder mit der Equal Care Konferenz. Einen ganzen Tag dreht sich in Vorträgen, Workshops und Podiumsdiskussionen virtuell und vor Ort in Bonn und Berlin alles rund ums Thema faire Verteilung von Sorgearbeit. Wir werden Euch auf Ciao Cacao davon berichten.

Veranstaltungstipp: Wollt ihr Teil der Equal Care Konferenz sein? Dann gibt es noch die Möglichkeit, sich ein Online-Ticket zu kaufen und am 1. März bei der virtuellen Care-Landschaft dabei zu sein. Unter www.equalcareday.de gibt es alle Infos zu Tickets und dem Programmablauf.

Altersarmut: Frauen, nutzt Eure Wut!

Kommen wir zurück auf meinen Brief vom Anfang. Wir sollten ganz dringend alle im Sinne von Ciani-Sophia Höder wütend sein, um die Welt zu verändern. Gerade wir Frauen dürfen das nicht einfach weiter so hinnehmen. Carearbeit muss endlich anerkannt und vergütet oder in anderer Form wertgeschätzt werden. Nur so können wir der Altersarmut von Frauen begegnen und echte Geschlechtergerechtigkeit leben und nicht nur predigen.

Kulturtipp für alle rund um München: Das Residenztheater München hat ein sensationelles Theaterstück im Repertoire: (NICHT)MÜTTER! Es handelt sich um ein Rechercheprojekt zum Thema (Nicht-)Mutterschaft und thematisiert unter anderem auch die Sorgearbeit. Unbedingt anschauen!!

* aka Madame Schärnée * lebt mit Monsieur Schärnée und zwei Töchtern im nördlichen Landkreis München * hoffnungslose gerechtigkeitsliebende Weltverbesserin, bekennende Feministin und Buchliebhaberin * Vizepräsidentin des Vereins Parité in den Parlamenten e.V. * redet ihr Gegenüber gerne in Grund und Boden und führt endlose Diskussionen über Gleichberechtigung und Politik * wirbt für mehr Mütter in der Politik * glaubt (trotzdem) an das Gute im Menschen * liebt orientalisches Essen wie Hummus, Falafel und Co * Mitgründerin des Familienzentrums FamilienHaus Unterföhring e.V * lernt durch ihr ehrenamtliches Engagement und den Blog viel über sich selbst und das Leben * ihre Lieblingshashtags: #dieHälftederMachtdenFrauen und #smashthepatriarchy #MütterindiePolitik

8 Kommentare

  • Ulrich Probst Dr

    Chapeau! Ihr Artikel „GLEICHSTELLUNG Altersarmut + Frauen: Who cares? v. 9. Januar 2023“ bringts voll auf den Punkt. Nur brauchen wir dafuer wohl Gelbwesten wie in Frankreich. Die kann ich aber in Deutschland (noch nicht!?) erkennen. Beste Gruesse. U.P.

  • Desi

    Selten so viel Müll gelesen. Ich bin auch Mutter und niemand zwingt Frauen in Teilzeit zu arbeiten. Muss auch niemand Dank Kinderbetreuung (Tagesmutti, Kindergarten, Hort etc).
    Und Ehrenamt wird nun mal nicht bezahlt und das ist auch gut so. Ich engagiere mich auch ehrenamtlich sowohl politisch als auch im Tierschutz.

    • Julia Mey

      Liebe Desi,
      schön, dass Dich diese Thematik ganz offensichtlich so gar nicht betrifft. Uns schon. Nein, Frauen werden nicht gezwungen in Teilzeit zu arbeiten, aber zu argumentieren, das müsse auch niemand, weil es ja genügend Kindertageseinrichtungen gebe, ist – mit Verlaub – ziemlich blauäugig. Die Lebenswelt vieler anderer Mütter sieht anders aus. Dass beide Elternteile Vollzeit arbeiten, ist die Ausnahme. Und zwar deshalb, weil es so schwierig ist! Die Kindertageseinrichtungen schließen irgendwann. Die Tagesmütter arbeiten selten bis 17 Uhr und in vielen Kommunen kostet Kinderbetreuung viel Geld. Vor allem dann, wenn man den kompletten möglichen Zeitrahmen ausschöpft. Du gehst außerdem auf das Thema Ehrenamt ein. Im Beitrag steht mit keinem Wort, dass es entlohnt werden sollte.
      Liebe Grüße
      Julia

    • Desi

      Liebe Julia,

      Es betrifft nicht nur mich nicht, sondern viele Frauen eben nicht. Ich selbst kenne auch niemanden in meinem Umfeld, der es nicht in Vollzeit hinbekommt. Selbst meine Schwester, völlig alleinerziehend, hat es hinbekommen.
      Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
      Und selbst wenn man nicht „kitagerechte“ Arbeitszeiten hat, wie Sie schreiben, reden wir von wenigen Jahren in Teilzeit, bis die Kinder etwas älter sind und alleine zuhause sein können. Durch diese wenigen Jahre rutscht man nicht gleich in Altersarmut und die Mütterente gibt es ja auch noch.
      Das beide Eltern in Vollzeit arbeiten mag die Ausnahme sein, aber nicht, weil es schwierig ist, sondern weil Frau ihre Kinder nicht den ganzen Tag abgeben möchte (kenne ich auch genügend). Und Kinderbetreuungskosten in Deutschland sind ein Witz im Vergleich zu anderen Ländern. Und meine Gemeinde hat mit die höchstens Gebühren dafür. Die Kosten dafür können mit zu zwei Dritteln mit dem Kindergeld bezahlt werden.
      Und ich meine im Beitrag was über das unbezahlte Ehrenamt gelesen zu haben.

      • Tanja Gernet

        Liebe Desi,
        leider muss ich Dir sagen: aktuelle Meldungen bestätigen: auch nach über 40 Jahren VOLLZEITerwerbstätigkeit liegt jede dritte Frauenrente unter 1.000 €. Da sprechen wir also nicht von wenigen Jahren.Außerdem liegt der Gender Pay Gap immer noch bei 18%.
        Liebe Grüße
        Tanja

  • Franziska Wolf

    Das Problem der Care-Arbeit ist in diesem Artikel gut beschrieben. Aber ein weiteres Kernproblem, warum Frauen weniger verdienen als Männer, daher oft erst in die „dann mach ich eben die unbezahlte Care Arbeit“ Falle rutschen, wird zu wenig beleuchtet. Frauen studieren und machen ihre Lehre zu oft nicht nach der Maßgabe, ob sie damit sich und eine Familie ernähren können, sondern mit eben dem Hintergedanken, dass da schon wer sein wird, der es tut und dass oft blauäugig getriebene Lust am Job im Vordergrund steht. IT, Beratertätigkeiten, Ingenieurwissenschaften, Medizin sind die gut bezahlten Arbeiten. Bis auf Medizin gnadenlos von Männern besetzt. Warum? Keine Lust? Lieber was mit Blumen? Die bezahlen später keine Rente. Hier müsste bei Beratungen etc. für Frauen angesetzt werden. Vom Lust- zum Geldprinzip. Klingt erst mal nicht so schön, ist aber der einzige Weg raus zu kommen aus der Care-falle. Denn erst wenn es sich nicht rechnet, dass die Frau zuhause bleibt, wird sich was drehen, bei Paaren, Teams, Gesellschaft.

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